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Nächste Schritte

Unmittelbar nach dem Telefonat fühle ich mich erstaunlich gelassen. Ich spreche mit meinem Chef und meinen Arbeitskollegen, die sich allesamt anerkennend und ermutigend äußern. Gespräche mit der Familie, Angehörigen und Freunden folgen im Laufe des Abends, auch hier kommt ausschließlich positives Feedback.

Am Abend fange ich auch an, mich im Internet schlau zu lesen. Besonders Erfahrungsberichte interessieren mich dabei. Ich bin überrascht, dass Spender und Empfänger nicht vom gleichen Geschlecht und nicht mal die gleiche Blutgruppe haben müssen. Von einem „genetischen Zwilling“ hatte ich anderes erwartet. Immerhin: Nach der Transplantation ist die Blutgruppe identisch. Dann hat der Empfänger nämlich auf jeden Fall meine …

Erst jetzt wird mir wirklich bewusst, was da eigentlich gerade passiert. Je länger ich lese und je länger ich nachdenke, desto unrealer erscheint mir alles. Besonders wenn ich von den Treffen zwischen Spender und Empfänger lese, läuft mir eine Gänsehaut den Rücken herunter. Ich muss aber auch Berichte lesen, wo nach der Transplantation der Empfänger doch verstorben ist. Trotzdem können mich diese Berichte nicht von meiner Entscheidung abbringen. Wenn ich es nicht versuche, haben wir verloren, bevor wir angefangen haben.

Ich gebe aber zu, dass mich die gesamte Situation emotional stärker erwischt, als ich vorher erwartet hätte. Man ist ja Mann, man ist ja cool und souverän. Ich jette permanent durch Europa auf irgendwelche internationalen Projektmeetings. Man hat alles gesehen und weiß auf alles eine Antwort. Und wenn nicht, konstruiert man sich eine. Was soll so einen Kerl wie mich schon aus der Bahn werfen? Jetzt wissen wir es …
Nun fällt auch die Entscheidung, die Vorgänge im Rahmen eines Blogs zu erfassen. Es ist aber schon spät, also wird das Anlegen des Blogs auf den nächsten Abend verschoben.

Nachts kann ich schlecht einschlafen, ich komme ins Grübeln. Ich kenne den Empfänger nicht, habe nicht mal Informationen über den Wohnort oder das Alter. Wer mag der Empfänger oder die Empfängerin sein? Wo wohnt er/sie? Wird er oder sie mit mir in Kontakt treten, erst anonym und später vielleicht auch persönlich? Ich möchte das schon. Weiß er/sie schon, dass ein Spender gefunden wurde? Wie ist wohl die Reaktion auf die Nachricht? Ich versuche, mir das auszumalen. Wie mag es ihm/ihr jetzt wohl gehen? Wird alles so ablaufen, wie erhofft? Ich kann einen leichten Zweifel und ein unsicheres Gefühl nicht vollständig wegschieben. Irgendwann schlafe ich dann doch ein.

Am nächsten Morgen geht es mir deutlich besser. Ich weiß nicht, was nachts passiert ist, aber jetzt fühle ich mich geradezu euphorisch. Ich kann es kaum erwarten, das es weitergeht. Ich fiebere jetzt schon der Voruntersuchung und dem Entnahmetermin entgegen. Warum dauert das eigentlich noch so lange? Plötzlich fängt man aber auch an, sich über merkwürdige Dinge Gedanken zu machen. Ist es zu verantworten, heute abend noch joggen zu gehen? Man könnte sich verletzen. Und man muss ja jetzt nicht mehr nur für sich selber aufpassen …

Fortsetzung folgt.

Der Anruf

Man ahnt nichts böses. Es ist der 27.07.2011, ca. 10:30. Ich sitze im Büro eines Kollegen, um mit ihm über eine störrische SPI Verbindung zu diskutieren. Da schellt mein Handy. „Deutsche Stammzellenspender-Datei. Nach der Feintypisierung hat die Transplantationsklinik Sie als Spender ausgewählt. Haben Sie kurz Zeit, damit ich Ihnen das Prozedere erläutere?“

Eher mechanisch sage ich „Ja“, für einen Moment völlig konsterniert. Das legt sich aber erstaunlich schnell. Ich höre mir die bekannten Details an: Die Reservierung für den Patienten für 2 Jahre, Termin für Checkupuntersuchung und Beratungsgespräch, Termin für die Entnahme, Verdienstausfallentschädigung für den Arbeitgeber, Mitnahme einer Begleitperson, Abschluss von Versicherungen für mich durch die DSD und die Möglichkeit, anonyme Briefe mit dem Empfänger austauschen zu können. Und natürlich die Möglichkeit, von der Spende zurückzutreten. Dann vereinbaren wir ein Telefonat für den folgenden Montag. Bis dahin kann ich Details mit meinem Chef und meinem Anhang klären – und mir die ganze Sache überlegen.
Ich ertappe mich dabei, wie ich meinen Terminkalender abchecke, um die vorgeschlagenen Termine bestmöglich unterbringen zu können, während ich mein Mobiltelefon noch in Händen halte. Innerlich hatte ich meine Entscheidung wohl schon getroffen, obwohl ich bewusst noch nicht über Risiken, Vor- und Nachteile nachgedacht hatte.

Bemerkenswert noch der Hinweis, dass die Transplantationsklinik eine Entnahme aus dem Beckenkamm beantragt hatte. Grundsätzlich gibt es zwei Verfahren, Stammzellen aus dem Körper eines Spenders zu entnehmen:

  • Die Entnahme aus peripherem Blut. Dabei wird Blut aus einem Arm entnommen, zentrifugiert, und dem Körper im anderen Arm wieder zugeführt. Dabei werden in der Zentrifuge Stammzellen ausgefiltert
  • Die Entnahme eines Knochenmark-Blutgemisches aus dem Beckenkamm. Dabei wird unter Vollnarkose ca.1 Liter Knochenmark entnommen

Nach dem Lesen etlicher Berichte im Internet scheint der Unterschied zwischen beiden Verfahren nur zu sein, dass man bei einem die Schmerzen vor und beim anderen die Schmerzen nach der Entnahme verspürt. Bei der Entnahme aus peripherem Blut muss man sich vor dem Entnahmetermin mehrere Tage lang ein Medikament zur Anregung der Erzeugung von Stammzellen spritzen. Das erzeugt gemäß vieler Berichte Nebenwirkungen in Form pulsierender Schmerzen besonders im Lendenwirbelbereich. Bei der Entnahme aus dem Beckenkamm hat man halt eine Stichwunde und gemäß der Berichte anschließend das Gefühl wie bei einem starken Muskelkater für einige Tage.

Das Entnahme aus dem Beckenkamm ist zwar heute unüblicher, als die Entnahme aus peripherem Blut, aber unter gewissen Randbedingungen für den Patienten günstiger. Nun denn, mir soll es Recht sein.

Die Typisierung und die Feintypisierung

Vor dem Eintrag in ein Stammzellenspender-Register steht die Typisierung. Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht mehr genau, wann ich mich typisieren lies. Es ist jedenfalls schon Jahre her. Wenn ich mich recht erinnere, war es ein ganz gewöhnlicher Blutspendetermin, wo die Möglichkeit offenbart wurde, sein Blut typisieren zu lassen. Tja, wenn man schon mal dabei ist, in Form einer Blutspende Leben zu retten, warum dann nicht gleich richtig? Genau. Also den Haken an die richtige Stelle, und ab dafür.

Irgendwann habe ich dann auch einen Ausweis von der deutschen Stammzellenspender-Datei erhalten, den ich fortan auch stolz bei mir getragen habe. Immerhin kann man damit ja ggf. mal Eindruck schinden. „Was, da machst du mit? Gute Sache. Hätte ich nicht gedacht. Sollte ich auch mal drüber nachdenken.“ So oder so ähnlich waren die Reaktionen. Zwei oder drei mal kam das vor, dass er gemeinsam mit dem Blutspendeausweis präsentiert wurde. Mehr ist aber eigentlich nicht passiert in all den Jahren. Eigentlich ist man gar nicht so böse darüber, wenn man nichts davon hört. Ein Freund von mir wurde dann irgendwann mal zu einer Feintypisierung aufgefordert. Hat sich dann aber zerschlagen. Kein Wunder. Die Chance ist ja auch sooo klein. Erinnerungen an die Statistikberechnungen aus dem Mathe-Vorlesungen des Studiums werden wach. Was soll man erwarten? Im Lotto gewinnt man ja auch nicht (da spiele ich auch nicht mit, was die Chancen noch mal reduziert). So habe ich gedacht. Über Jahre.

Bis Mitte Juni 2011. Wir waren im Urlaub in London und bei unserer Rückkehr ist da dieser Brief mit der Bitte, die DSD anzurufen. Dabei ist ein Päckchen mit Röhrchen und Kartons für die Rücksendung. Gesagt, getan. Es kam heraus, dass ich zur Feintypisierung doch bitte meinen Hausarzt aufsuchen solle für eine Blutprope. Machen wir doch. Is ja eh grad Urlaub, da hat man auch problemlos Zeit dafür. Wir schreiben den 23.06.2011 – Fronleichnam. Ein Datum mit Symbolcharakter? Immerhin ist es das Fest „des Leibes und des Blutes Christi“.

Die Blutprobe verlief problemlos, ich habe direkt die beiden Pakete mit den Proben zur Post gebracht, damit sie sich möglichst unverzüglich auf den Weg machen. Meine Ärztin hatte allerdings keine so guten Nachrichten: „Meistens wird es trotzdem nichts. Die Chance ist nur so 1:1000“.
Diese Aussage wird in einem Brief bestätigt, der ca. 1 Woche nach dem Besuch des Hausarztes eintrifft. Dort steht aber auch, dass ich vorläufig für den Spender reserviert werde und bis Ende September die Entscheidung über eine Entnahme fällt. Um ehrlich zu sein, hatte ich nach diesem Brief mit dem Verfahren schon fast abgeschlossen.

Einleitung

Hallo,

tja, nun habe ich auch dieses neumodische Zeug. Einen „Blog“. Dabei bin ich als nachrichtentechnischer Ingenieur neuen Technologien gegenüber eigentlich aufgeschlossen, hab aber irgendwie eine gesunde Skepsis gegenüber Facebook und all diesen „Social Media“ Sachen. Wie konnte es also dazu kommen, meine persönliche Abneigung zu überwinden?

Die Antwort ist: Ich werde voraussichtlich eine Stammzellen- oder Knochenmarkspende geben. Da die Auseinandersetzung mit tödlichen Krankheiten ein sensibles Thema ist, sogar fast ein Tabuthema, werde ich in den folgenden Tagen und Wochen meinen Weg zu dieser Spende beschreiben. Mir ist klar, dass ein gewisses Risiko mit dieser Dokumentation verbunden ist, immerhin kann noch einiges schief gehen und das Ergebnis fällt nicht aus, wie gewünscht. Dennoch wage ich es in der Hoffnung, weitere Menschen zu dem Schritt zu ermutigen, sich in einer Stammzellenspenderdatei registrieren zu lassen. Ein Blog erscheint mir ein geeignetes Mittel, den Fortgang chronologisch zu erfassen. In der Hoffnung, dass hier irgendwann nach Monaten oder Jahren von einem glücklichen Treffen zwischen Spender und Empfänger berichtet werden kann.

Falls ihr Interesse habt, der Sache zu folgen, würde mich das freuen. Wenn ihr konkrete Fragen an mich habt, meldet euch: stammzellenspende [at] frank-meyering.de